Turngeschichte

Bereits Johann Christoph Friedrich GutsMuths (* 09.08.1759 Quedlinburg, † 21.05.1839 Ibenhain bei Schenpfenthal)[1] entwickelte vor dem Hintergrund der Aufklärung und deren Vernunftsvorstellung pädagogische Gymnastik. Auf dieses Konzept konnte Friedrich Ludwig Jahn (* 11.08.1778 Lanz (Prignitz), † 15.10.1852 Freyburg/Unstrut)[2] einige Jahre später aufbauen. So gilt dieser in Deutschland als „Vater des Turnens“, indem er aus seinen Ideen der „Volkserziehung“ ein turnerisches Konzept entwickelte. Dabei bot Turnen ein sehr großes Repertoire an unterschiedlichen Bewegungsabläufen, welche sich sowohl im Krieg als auch im Alltag als vorteilhaft erweisen konnten. In diesem Zusammenhang hatte der Turnsport jedoch nicht die bloße Leistung als Ziel, was sich nicht zuletzt an den oft sehr schnell und improvisiert eingerichteten Sportstätten zeigte. So sah man eine ausschließliche Leistungsorientierung im Turnsport lange als unrichtig und unästhetisch an, was das Turnen, bzw. Volksturnen zur damaligen Zeit auch zum allgemeinen Sport hin abgrenzte.[3] Dies änderte sich auch bis zum 20. Jahrhundert nicht, was die separate Nennung von „Turnen“ und „Sport“ in einer gemeinsamen Rubrik von Zeitungen um 1930 belegt.[4]

Durch die napoleonischen Kriege erschien die körperliche Fitness der Jugend immer wichtiger und auch Jahn verfolgte mit seiner Turnbewegung politische Ziele. Neben der Befreiung von der napoleonischen Besatzung, sollte auch die Feudalherrschaft überwunden und ein deutscher Nationalstaat das Ziel sein. Damit hatte der Turnsport als solches seinen Beginn mit der von Jahn gegründeten Sportstätte auf der Berliner Hasenheide 1811.

Eine politisch-nationale Haltung behielt der Turnsport in den darauffolgenden Jahren weiterhin.

In diesem Zusammenhang ist es deshalb wenig überraschend, dass sich der erste Deutsche Turnerbund aus der 1848er Revolution heraus gründete. Nun war die Zielsetzung nicht mehr die Beseitigung der napoleonischen Besatzung. Stattdessen lag der Fokus noch um einiges intensiver auf der Einheit des deutschen Volkes, sowie der Stärkung dessen Brudersinns als auch körperlichen und geistigen Kraft.

Somit spiegelte sich auch die zur damaligen Zeit omnipräsente Frage nach der zukünftigen Staatsstruktur Deutschlands in der Turnerschaft wider. Sollte der deutsche Staat nun eher eine Monarchie oder doch besser eine demokratische Republik werden? Diese spaltende Frage und vor allem die Positionierung des Turnerbundes in diesem Zusammenhang, führte nicht zuletzt dazu, dass es zur Abspaltung des Demokratischen Turnerbundes kam, wobei dieser aufgrund seiner politischen Einstellung diese Revolution nicht durchstand. Entgegengesetzt hierzu der neutral gebliebene Deutsche Turnerbund. Die politischen Differenzen in der Turnerschaft zogen sich lange Zeit wie ein roter Faden durch die Geschichte und führten zu vielen abgespaltenen Verbänden. Eine annähernde Einigung fand man erst durch den Zusammenschluss aller Turnvereine und Regionalverbände 1860 zur Deutschen Turnerschaft.[5]

Die Deutsche Turnerschaft stellte allgemein in seiner Satzung fest, dass Politik keine Rolle spielen sollte und durfte, wodurch die Mitgliedschaft jedermann offenstand. Auch wenn dies als solches in der Satzung festgehalten war, war die Gesinnung der Verbandsführung allgemein eher konservativ und national-liberal eingestimmt, was vor allem in den 1930er Jahren eine große Rolle spielte. Dies gipfelte darin, dass sich die Deutsche Turnerschaft als eine der ersten Turn- und Sportorganisationen durch ihre Führung Edmund Neuendorff deutlich zum NS bekannte.[6]

Allgemein sind heute noch Elemente des Turnsports wie beispielsweise der Wahlspruch „Frisch, fromm, fröhlich, frei“ auf Jahn zurückzuführen.[7] Gleichzeitig liegt jedoch ein großer Unterschied zwischen Normen, Werten, Intentionen und Prinzipien des Jahn‘schen Turnens und dem heutigen. Geschichtlich hatte der Turnsport immer schon eine gewisse nationale Ausrichtung und auch nach dem Ersten Weltkrieg war der Turnsport ein Teil der Überwindung von empfundenen Schwächen und Erniedrigung, beispielsweise die erneute Besetzung einiger Teile Deutschlands durch die Siegermächte, darunter auch Frankreich. Insgesamt gilt aber auch hier, wie in fast allen Bereichen: einige, aber nicht alle Turnvereine hatten eine ausgeprägte nationale Ausrichtung und schlossen sich beispielsweise teilweise auch freiwillig dem Nationalsozialismus an, keinesfalls kann dies aber verallgemeinert werden. So gab es auch links eingestellte und politisch neutrale Vereine, die nicht konform mit den politischen Geschehnissen ihrer Zeit gingen.[8]

Ebenfalls erwähnenswert ist die Tatsache, dass der Turnbegriff zur damaligen Zeit weitaus breiter gefasst war, als man es heute kennt. Während man heutzutage unter „Turnen“ meist Leistungssport im Kopf hat, konnten früher auch heute eigenständige Sportarten wie Schwimmen, Fechten oder Leichtathletik mit dem Begriff „Turnen“ assoziiert werden. Das heißt, Turnen war noch zu Beginn des 20. Jahrhundert ein Sammelbegriff für vielerlei Sportarten. Man kann sagen, dass heute der Begriff „Turnen“ durch den Begriff „Sport“ abgelöst wurde.[9] Allgemein waren in Turnvereinen damals auch beispielsweise Gesangsvereine untergebracht, sodass in den Vereinen alle möglichen Gesellschaftsschichten mit ggf. unterschiedlichen Interessen zusammen kamen, was wiederum zeigt, wie sehr Turnvereine ein Zeichen von Gemeinschaft waren, bzw. es bis heute teilweise noch sind.


[1] Vgl. Grupe, Ommo, https://www.deutsche-biographie.de/sfz24816.html, Zugriff: 15.02.2021.

[2] Vgl. Friedrich-Ludwig-Jahn-Gesellschaft e.V., http://www.jahn-museum.de/index.php/friedrich-ludwig-jahn/leben-und-wirken, Zugriff: 15.02.2021.

[3] Vgl. Deutscher Turnerbund, https://www.dtb.de/der-verband/wir-ueber-uns/geschichte/erster-deutscher-turnerbund/, Zugriff: 15.02.2021; Pfister, Gertrud, 200 Jahre Turnbewegung- von der Hasenheide bis heute, https://www.bpb.de/apuz/33345/200-jahre-turnbewegung-von-der-hasenheide-bis-heute?p=1, Zugriff: 15.02.2021.

[4] Vgl. Saarbrücker Zeitung, „Turnen und Sport“, Saarbrücken 1929.

[5] Vgl. Deutscher Turnerbund, https://www.dtb.de/der-verband/wir-ueber-uns/geschichte/erster-deutscher-turnerbund/, Zugriff: 15.02.2021; Pfister, Gertrud, 200 Jahre Turnbewegung- von der Hasenheide bis heute, https://www.bpb.de/apuz/33345/200-jahre-turnbewegung-von-der-hasenheide-bis-heute?p=1, Zugriff: 15.02.2021.

[6] Vgl. Krüger, Michael, „Die Turnbewegung während der Zeit der Nationalsozialisten“, https://www.dtb.de/der-verband/wir-ueber-uns/geschichte/turnbewegung-waehrend-der-ns-zeit/, Zugriff: 15.02.2021.

[7] Vgl. Braun, Harald, „Der Turngruß und die Vier F“, https://www.dtb.de/der-verband/wir-ueber-uns/geschichte/turnergruss-und-die-vier-f/, Zugriff: 15.02.2021.

[8] Vgl. Krüger; Pfister.

[9] Vgl. Ohne Verfasser: Die Entwicklung der Deutschen Turnerschaft von 1933 bis zu ihrer Auflösung 1939, 2005, S. 5.